Die Gefahren einer Vollgeld-Umstellung

Ortspartei Kreis 9

Sie ist wohl eine der exotischsten Initiativen über die wir je abgestimmt haben – die Vollgeld-Initiative. Nach ihr sollen 100% des Schweizer Geldes von der Nationalbank stammen. Ein weltweit einzigartiges Finanzsystem entstünde mit unbekannten Konsequenzen. Ob und inwiefern die Initiative überhaupt umzusetzen wäre, ist selbst unter Ökonomen stark umstritten, erklärt uns Moritz Falck, Vizepräsident der FDP-Ortspartei im Stadtzürcher Kreis 9.

Um was geht es?

In der Schweiz, wie auch in den meisten Ländern der Welt, herrscht ein Zentralbankensystem vor. Hierbei übernimmt eine staatliche Institution die Koordinationsrolle für das gesamte Finanzsystem. In der Schweiz ist es die Schweizerische Nationalbank (SNB). Die Zentralbank erfüllt dabei eine Vielzahl geldpolitischer Aufgaben. Im Hinblick auf die Vollgeld-Initiative stehen wohl vor allem die Währungsstabilität und der Zahlungsverkehr im Fokus.

Im heutigen Modell beziehen Geschäftsbanken das Geld für Ihren Zahlungsverkehr bei der Nationalbank, ob nun für E-Banking-Zahlungen oder Bargeldbezüge am Automaten. Einen Teil der Gelder geben sie weiter in der Form von Krediten, etwa an Privatpersonen oder Firmen. Der Kredit entsteht dabei nicht direkt aus dem Geld der Nationalbank und kann auch nicht per Knopfdruck hergestellt werden, wie dies oft von den Initianten behauptet wird. Vielmehr wird auf den Kontokorrenten, dem umgangssprachlichen Bankkonto, ein Teil der Einlage als Kredit weitergegeben. Dieser Prozess kann über mehrere Schritte vollzogen werden, wobei sich die Geldmenge erhöht – aus Bankkonto wird Kredit, der wiederum als Guthaben auf einem anderen Bankkonto landet (der sogenannte Geldschöpfungsmultiplikator). Die eigentliche «Liquidität» für diese Transaktionen wird bei der SNB bezogen.

Die Initianten stören sich an diesem Prozess, weil Geschäftsbanken damit Geld in den Umlauf bringen, welches nicht direkt von der Zentralbank stammt oder durch diese gesteuert werden kann. Sie fürchten auch um falsche Anreize und eine lasche Kreditvergabe, die zu Verwerfungen am Finanzmarkt führen könnten. Im allerschlimmsten Fall geht ein Bankhaus gar Konkurs und mit dem Bankhaus auch ein Grossteil der Kundengelder.

Diese Auffassung greift allerdings zu kurz und ist teilweise falsch. Banken «refinanzieren» sich bei der Nationalbank, indem sie Zinsen entrichten und  verwertbare Wertschriften im Tausch anbieten. Die Kontokorrente der Bankkunden entstehen ebenfalls nicht per Knopfdruck oder durch Zufall, sie speisen sich nämlich aus Lohnzahlungen und Vermögenserträgen. Der Geldschöpfung steht also immer ein konkreter wirtschaftlicher Wert gegenüber. Dies gilt übrigens auch im Kreditvergabezyklus, beispielsweise bei Grundpfanden an einer Immobilie. Mit einer Umstellung auf Vollgeld müsste die SNB sämtliche Gelder «von Amtes wegen» bereitstellen. Bei zahlreichen Finanztransaktionen wäre damit der «Besicherungsgegenstand» strenggenommen nur noch die gesetzliche Position der Nationalbank, respektive unser Vertrauen in die Werthaltigkeit des Frankens.

Welche Vorteile hätte Vollgeld?

Die Einführung von Vollgeld würde gewisse Risiken bei den Einlagen beseitigen. Die heutigen Bankkonten haben einen Einlagenschutz von bis zu CHF 100'000. Geht eine Bank pleite und hat der Kunde mehr als diesen Höchstbetrag auf dem Konto, so besteht die Möglichkeit, dass er den Differenzbetrag verliert – obschon es noch immer ein entsprechendes Konkursverfahren gäbe, was die Initianten gerne unterschlagen. Mit Vollgeld wäre die Gefahr eines «Bank-Runs» aber kein Thema mehr.

Man mag auch argumentieren, dass Banken mit ihrer Art der Geldschöpfung Profite generieren, die auf ihre bevorzugte Stellung zurückzuführen sind. In der Tat weisen  diverse wissenschaftliche Studien darauf hin, dass inbesondere Grossbanken Profite erzielen, die über dem liegen, was man billigerweise für die Vermittlungstätigkeit im Kreditvergabeprozess erwarten dürfte. Dieses «Seignorage»-Problem wäre bei Vollgeld ebenfalls weitestgehend vom Tisch. Ob es aber für ein punktuelles Problem die Umstellung eines ganzen Finanzsystems benötigt sei hier mal dahingestellt.

Was spricht dagegen?

Die Schweiz würde bei Annahme der Initiative ohne Not auf ein gänzlich anderes System umstellen. Faktisch könnte die Nationalbank bei Vollgeld die Geldmenge nur noch erweitern und kaum reduzieren. Dies macht es weitaus schwieriger korrigierend in den Markt einzugreifen, etwa bei Wertkorrekturen des Frankens oder bei steigender Inflation. Banken könnten kaum noch Zinsen auf ihren Krediten erheben, was wichtige Anreize im Kreditsystem zerstören würde und sehr wahrscheinlich auch höhere Gebühren für die Bankkunden nach sich ziehen würde (irgendwie müssen die Banken ja den Verlust des Zinsdifferenzgeschäfts kompensieren!).

Mit der Vollgeld-Initiative wird die SNB quasi zum Kreditgeber der Nation. Geschäftsbanken wären für sämtliche Kredite auf eine Vollgeld-Finanzierung durch die Zentralbank angewiesen. Das weckt politische Begehrlichkeiten, die mit der Unabhängigkeit der SNB unvereinbar sind. Ferner ist es schwer vorstellbar, wie ein solches System effizient betrieben werden sollte. Wie könnte eine SNB die Kreditwürdigkeit einer Schuhfabrik im Jura beurteilen, oder die angemessene Familienhausfinanzierung von Herr und Frau Mustermann im Fricktal?!

Fazit

Vollgeld ist in der Theorie eine durchaus interessante Hypothese. Aber sie passt weder zeitlich noch inhaltlich in die heutige Realität. Das Risiko von flächendeckenden Bankkonkursen ist eher ein Thema des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – als es noch keine oder kaum Eigenmittelvorschriften gab. Die Umstellung auf Vollgeld bringt unbekannte Risiken mit sich. Sie untergräbt den geldpolitischen Massnahmenkatalog der SNB und erschwert den effizienten und günstigen Einsatz von Kapital. Nicht zuletzt will selbst die SNB nichts von Vollgeld wissen, obschon sie dadurch einen massiven Machtzuwachs erhalten würde. Unsere Währungsspezialisten wissen aber um die Gefahren einer Vollgeld-Umstellung, insbesondere für eine gut vernetze und international-orientierte Volkswirtschaft wie die der Schweiz. Darum NEIN zur Vollgeld-Initiative!